textilfrei für die Kunst


Gelegentlich bin ich textilfrei für die Kunst unterwegs. Meine textilfreie Beschäftigung ist uralt. Das beweist die Venus vom Hohlefels. Hierbei handelt es sich um eine 6 cm große nackte weibliche Figur aus Mammut-Elfenbein. Ein eiszeitlicher Künstler (oder eine Künstlerin) hat sie vor mindestens 35.000 Jahren geschnitzt. Vermutlich orientierte man sich auch schon damals an einem lebenden Original. 


Es scheint ein tief verwurzeltes Bedürfnis des Menschen zu sein, sich und seine Welt in Bildern oder Skulpturen darzustellen. Die Darstellung des nackten menschlichen Körpers ist dabei eine besonders große Herausforderung. Wer einen künstlerisch kreativen Beruf wählt, kommt am Aktzeichnen oder Aktmodelieren nicht vorbei. Meine Auftraggeber sind demzufolge unter anderem die Volkshochschule, die Hochschule für Gestaltung, die Kunstakademie, die Hochschule für Architektur oder Schulen für die Bildhauerei. Für meine Auftraggeber ist es völlig unwichtig ob man alt, jung, männlich, weiblich, dick oder dünn ist. Auch aktuelle Schönheitsideale sind belanglos. Ein gepflegter Körper und ein gutes Verhältnis zu demselben sind hilfreiche Voraussetzungen. Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit ist essenziell. 


Anfangs erzählte ich den KollegInnen im Büro nichts von meiner Nebentätigkeit. Es gibt jedoch auch die Meinung, diese Tätigkeit sei eine seriösere Beschäftigung als das Bankengewerbe. Darum erzähle ich heute manchmal lieber nichts von meinem Job bei der Bank.


Vor Jahren fragte mich ein Vereinsmitglied ob ich an der Volkshochschule einspringen möchte, dort sei ein Aktmodell ausgefallen. Ich hatte Bedenken bezüglich der Seriosität der Teilnehmer. Diese Bedenken konnten jedoch beruhigt werden und ich wagte einen ersten Versuch. Durch die respektvolle höfliche Atmosphäre fühle ich mich absolut sicher. Bestimmt erleichterte mir die langjährige Mitgliedschaft beim Lichtbund Karlsruhe zusätzlich den Einstieg. Dozentin und Schüler waren mit meinen Posen zufrieden. Ich bekam Folgetermine und meine Telefonnummer wurde an andere Dozenten weiter gegeben. 


Warum bin ich dabei geblieben? Ganz einfach: Ich habe diese Tätigkeit sehr schätzen gelernt. Ich begegne fleißigen Menschen, die mit Farbe, Licht oder Ton versuchen den Ausdruck und die Form festzuhalten. Es ist ein intensives gemeinsames arbeiten. Ein schöpferischer Prozess. Manchmal kann man die Kreativität fühlen. Wir erleben Erfolge und Misserfolge und immer wieder die Lust es trotzdem zu versuche. Ich habe auf besondere Weise Berührung mit der Kunst. Ich darf beobachten wie Kunst entsteht, wie Künstler arbeiten und bin gleichsam am Prozess beteiligt. 


Während meiner ersten Termine habe ich ziemlich schnell  gelernt welche Posen schmerzen und welche man länger halten kann. Das ich auf dem Podest keine Kleider trage ist für mich so selbstverständlich wie nackt duschen. Beim Stehen, Sitzen oder Liegen habe ich oft Gelegenheit jeden Bleistiftstich zu verfolgen. In den Pausen bin ich neugierig und möchte die Bilder betrachten. Manche zeigen gerne ihre Ergebnisse, andere lieber nicht. Manchmal sieht mir die Zeichnung ähnlich, manchmal nicht. Ähnlichkeit ist allerdings kein sicheres Kriterium für eine gelungene Zeichnung. Es geht darum den Ausdruck und die Form fest zu halten. Bei einem Portraitkurs war ich einmal in sehr trauriger Stimmung. Eine Teilnehmerin hat an diesem Tag ein Bild gemalt, welches mir zwar nicht wirklich ähnelt, jedoch die Traurigkeit zeigt. Ich mag diese Zeichnung sehr. 


Für Bleistift, Farbe oder Ton modeln ist das Eine. Ganz anders ist das modeln für die Fotografie. Vor allem für die Aktfotografie. Hier spielt die Erotik eine direktere Rolle. Für mich ist die Motivation stets die gleiche. Ob auf dem Papier, mit Ton oder digital, ich beteilige mich an der Suche nach der Form und dem Ausdruck. Das man einen menschlichen Körper niemals von seiner erotischen Ausstrahlung trennen kann ist ein biologisches Gesetz. Meine Grenze zur Pornografie habe ich gefunden. Für die Fotografie stehe ich nur dann Modell, wenn das Vertrauensverhältnis zum Fotografen und seiner Arbeitsweise sehr groß ist. 


Ich bin 1963 geborgen, wie lange ich noch textilfrei für die Kunst unterwegs bin ist schnell beantwortet: solange ich Freude daran habe und von seriösen Auftraggebern gebucht werde.